100 Jahre Sportschützen: Ein Verein, um Spaltung der Gesellschaft zu überwinden
(ss – 7.6.24) „Der Lärm der streitenden politischen Parteien dringt bis in die kleinsten Dörfer und trennt auch hier die Menschen in zwei Lager. Soziale und wirtschaftliche Kämpfe beherrschen das öffentliche Leben und reißen die Menschen mit sich in ihren von Haß und Neid erfüllten Bereich und lassen kaum noch ein Gemeinschaftsgefühl aufkommen.“
Man könnte mit guten Gründen annehmen, diese Sätze entstammten einem Dossier zum Zustand unserer Gesellschaft in der Bundesrepublik, heute, 2024. Doch sie sind fast hundert Jahre alt.
Sie erinnern an die Gründung der „Schützengilde Reilsheim – Bammental“ 1924 und finden sich in der Urkunde zur Grundsteinlegung des Bammentaler Schützenhauses vom 22. März 1927. Etwa zwanzig Männer hatten sich damals zusammengefunden, um eben dieses Gemeinschaftsgefühl wieder zu stärken. Sie gründeten einen Verein, der, so heißt es in der Urkunde zur Grundsteinlegung,“ dem ältesten deutschen Sport“ gewidmet war, dem Schießsport.
Nach längeren Verhandlungen stellte die Gemeindeverwaltung der „Schützengilde Reilsheim – Bammental“ das Gelände zur Verfügung, auf dem auch heute, nach vielen Umbauten und Erweiterungen, das moderne Bammentaler Schützenhaus zu finden ist.
Dann galt es zunächst buchstäblich in die Hände zu spucken und das Gelände einzuebnen. An den Einsatz von Maschinen war in der armen Gemeinde nicht zu denken. Lobend wird in der Urkunde erwähnt, dass einige Männer oft tagelang ihre Pferdegespanne zur Verfügung gestellt hätten.
Der Gedanke, einen Verein in gemeinsamer Arbeit zum Nutzen aller aufzubauen, muss viele Menschen in Bammental und Reilsheim angesprochen haben, denn die Anzahl der Mitglieder hatte sich in diesen harten Jahren des Aufbaus von 20 auf über 60 mehr als verdreifacht. Finanziert wurde das Projekt durch die damals für viele sehr attraktiven Preisschießen. Als Preise wurden hier oft Nahrungsmittel ausgelobt – eine Wurst, ein Schinken, ein Sack Kartoffeln oder sogar ein halbes Schwein – die in den zwanziger Jahren für viele Menschen eine höchst willkommene Bereicherung des familiären Speiseplanes darstellten.
Geschossen wurde mit Kleinkalibergewehren auf fünf Bahnen mit „einbetonierter Deckung“ – d.h. ein Mann musste sich neben den Zielscheiben in Deckung begeben, um nach der Schussabgabe die Lage der Treffer anzuzeigen. Eine Vorgehensweise, die trotz „Deckung“ lebensgefährlich war und Mut und Vertrauen von demjenigen erforderte, dem die Aufgabe des „Anzeigens“ zugewiesen war. Heute würden solche Verhältnisse jedem Schießsachverständigen Tränen in die Augen treiben und mit der sofortigen Schließung des Schießstandes enden.
Das erste Haus des Schützenvereins, von dessen Grundsteinlegung die Urkunde kündet, war indes nur ein kleines Schutzhäuschen, das gerade genug Platz für einen wetterfesten Unterstand während des Schießens bot.
Gemeinsames Training und die erfolgreiche Teilnahme an Wettkämpfen sollten von nun an mit disziplinierter Regelmäßigkeit den Schützenalltag bestimmen.
Doch die Idee eines in friedlicher Eintracht ausgeübten Sports hatte auch in Bammental keine lange Zukunft mehr. Schon sechs Jahre nach dem Bau des kleinen Schützenhauses kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Bis 1934 wurden alle Vereine in Deutschland „gleichgeschaltet“. Für die Schützenvereine bedeutete dies die Unterordnung unter das sog. „Führerprinzip“. Der Schützenmeister musste sich fortan „Vereinsführer“ nennen und alle Wahlen standen unter der Kontrolle des neu gegründeten „Deutschen Schützenverbandes“. Der bisherige sportliche Betrieb musste zunehmend den Interessen der nationalsozialistischen Kampforganisationen, in erster Linie der „Sturmabteilungen (SA)“ und der wehrsportlichen Ausbildung der Hitlerjugend weichen. Ganz ohne Widerstand ging diese Einvernahmung aber nicht durch: So wagten es die Schützenvereine, die Frage aufzuwerfen, ob die Mitglieder der Hitlerjugend vor Benutzung des Schießstandes nicht zuerst Vereinsmitglieder werden müssten. Dies sei doch gerade aus versicherungsrechtlichen Gründen notwendig. Auch über die von den „SA-Männern“ zu zahlenden Standgebühren konnte zunächst keine Einigung erzielt werden.
Immerhin gelang es dem Verein bis kurz vor dem 2. Weltkrieg einen sportlichen Betrieb aufrecht zu erhalten. Sogar von gewonnenen Wettkämpfen gegen andere Vereine künden einige Siegesplaketten, die heute noch im Schützenhaus vorhanden sind. Interessanterweise sind auf diesen Medaillen selbst 1936 noch keine Hackenkreuze abgebildet.
Der entscheidende Schnitt kam für den Verein 1940. Hier wurde die letzte Generalversammlung vor dem Ende des Krieges durchgeführt. Anwesend waren nur noch fünf Mitglieder. Selbst der damalige „Vereinsführer“ war durch die Kriegsereignisse „verhindert“. Formal bestanden die Schützenvereine zwar weiter. Ein regelmäßiger Sportbetrieb fand jedoch nicht mehr statt.
Gegen Ende des Krieges wurde das Schützenhaus von der Wehrmacht übernommen und als Lagerhaus genutzt.
Nach der Kapitulation wurden 1945 alle Schützenvereine von den Alliierten verboten.
Vom Bammentaler Schützenhaus waren nur noch die Außenmauern und das Dach vorhanden. Fenster, Türen und Einrichtung waren verschwunden oder zerstört. Trotz dieser Zerstörungen wurde das Haus einer „Vertriebenenfamilie“ als Unterkunft zugewiesen.
Nachdem ab 1952 die Schützenvereine von den Alliierten unter strengen Auflagen wieder geduldet wurden, fand 1954 die Wiedergründungsversammlung des Schützenvereins im Gasthaus „Sonne“ statt, unter dem neuen Namen „Sportschützenverein 1924 Bammental e.V.“
1956 gab die Gemeinde das Gelände um das Schützenhaus an den Schützenverein in Erbpacht zurück.
Die Bammentaler Schützen besannen sich auf die Prinzipien, die die Gründungsväter des Vereins 1924 formuliert hatten. Sie wollten vor allem Sport treiben. Dazu kamen auch die Lehren aus den vergangenen, „dunklen“ Jahren: Politische Vereinnahmung sollte es nicht mehr geben. Eine Konsequenz aus dieser Haltung: Die Anfrage des militärisch ausgerichteten Kyffhäuserbundes auf Zusammenschluss wurde 1958 mit der Begründung abgelehnt, dass „es sich bei unserem Verein um einen reinen Sportverein“ handele.
Die Schützen waren also politisch sensibilisiert. Der Einmarsch der sowjetischen Truppen zur Niederschlagung des ungarischen Aufstandes 1956 löste im Bammentaler Schützenverein große Betroffenheit aus. Um ein Zeichen zu setzen, wurde ein schon ausgelobtes öffentliches Preisschießen durch Vorstandsbeschluss abgesagt.
Der gesellschaftliche Wandel war unübersehbar. 1959 wurden erstmals zwei Frauen in den Vorstand gewählt, Theresia Fuchs als Protokollführerin und Hannelore Roth als Schriftführerin.
Die Frauen wollten also in der bisherigen Männerdomäne des Schützenvereins mitreden. Und diesen Anspruch untermauerten sie mit Erfolgen, die die bisherigen sportlichen Leistungen der männlichen Schützen weit in den Schatten stellten. Hannelore Roth belegte bei den deutschen Meisterschaften 1962 den ersten Platz im Luftgewehrschießen. Bammental hatte eine deutsche Meisterin und „unsere Hannelore“ wurde in einer öffentlichen Feier unter den Klängen der Feuerwehrkapelle von Bürgermeister Renz geehrt.
Es herrschte also Aufbruchstimmung im Schützenverein. Das Schützenhaus wurde in mehreren Phasen ausgebaut. War in den Anfangsjahren nur das Schießen mit Luftdruckwaffen erlaubt, so konnte ab 1962 auch wieder mit Kleinkalibergewehren geschossen werden. 1976 wurde ein moderner Pistolenstand errichtet. Ab 1995 wurde eine Bogenabteilung aufgebaut, die inzwischen einmal im Jahr in der Elsenzhalle ein großes überregionales Bogenturnier ausrichtet.
Die Zeit der Corona – Pandemie stellte auch den Schützenverein vor große Herausforderungen, die sich auch noch nach der Zeit der Lockdowns auswirkten. Gemeinsames Training war nicht mehr möglich und viele Vereinsmitglieder zogen sich ins Private zurück. Wie konnte der Gemeinschaftsgeist reaktiviert werden? Auch hier halfen die alten Prinzipien weiter: In die Hände spucken und gemeinsam anpacken. Das Schützenhaus wurde renoviert und, beispielsweise durch den Einbau moderner LED-Technik, modernisiert. Und gerade die noch relativ junge Bogenabteilung entsprach nun dem Trend der Zeit: Schießtraining im Freien, in der schönen Natur, in die das Schützenhaus eingebettet ist.
So bietet der Schützenverein heute Schießsportmöglichkeiten für jeden Geschmack: Das stille, fast meditative Bogenschießen, das äußerste Präzision erfordernde Luftdruckschießen oder auch, für diejenigen, die es gerne etwas lauter mögen, das Schießen mit Großkaliberwaffen bis hin zum eher nostalgischen Westernschießen.
Die Bammentaler Schützen können also mit Stolz auf die vergangenen hundert Jahre zurückblicken. Die gemeinsam bewältigten Herausforderungen, die vielen und beachtlichen sportlichen Erfolge und nicht zuletzt auch ihre Lebensfreude und ihr Humor, die Lust, die errungenen Erfolge auch zu feiern, lassen in diesem Jubiläumsjahr einiges erwarten.
Den Auftakt bildet am 8. Juni der große Festakt mit vielen geladenen Gästen.
Neben einem fröhlichen Vereinsfest im Sommer werden die Schützen auch eine alte Tradition wiederaufleben lassen: Es wird eine Ortsmeisterschaft ausgerichtet, zu der alle Bammentaler Vereine herzlich eingeladen sind und deren Mannschaften mit dem Kleinkalibergewehr oder dem Bogen scharfe Augen und eine ruhige Hand beweisen können.
Im September richten die Westernschützen wieder das bekannte „Büffelschießen“ aus, bei dem viele Schützenvereine auch aus der weiteren Umgebung eingeladen sind und mit sog. „Unterhebelrepetiergewehren“ den schnellen Schuss auf die sich drehenden Büffelscheiben versuchen.
Zum Abschluss dieses denkwürdigen Jahres sind im November alle Bammentaler Schützen und Schützinnen zur Königsfeier geladen, in der sie diesmal dem Jubiläumskönig huldigen können.
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